„Cerberus“ überwacht Stromboli

Wissenschaftler der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) beobachten den aktiven Vulkan in Süditalien gefahrlos von ihrem Schreibtisch in Hamburg

Vor der Südspitze Italiens bricht die Hölle los: Es faucht und zischt und brodelt, Aschewolken verdunkeln die Sonne, rot glühende Lava und tonnenschwere Steine wälzen sich den Hang hinunter zum Meer. Nichts Ungewöhnliches auf der Insel Stromboli zwischen Sizilien und dem italienischen Festland, denn der gleichnamige Vulkan gehört zu den aktivsten der Welt. Durchschnittlich jede halbe Stunde kommt es zu einer kleineren Eruption, bei der außer  Lava, Asche und Gestein auch jede Menge giftiger Gase ausgestoßen werden. Diese regelmäßige Vulkanaktivität macht den Stromboli für die Forschung interessant – auch für Wissenschaftler der TUHH.

Ihr Ziel ist es, per Fernüberwachung vulkanische Aktivitäten vorhersagen zu können und so ein geeignetes Frühwarnsystem zu installieren. Die Forscher um Prof. Dr.-Ing. Roland Harig vom Institut für Messtechnik haben in enger Zusammenarbeit mit dem italienischen „Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia“ (Arbeitsgruppe Mike Burton) in Catània (Sizilien) ein Verfahren entwickelt, mit dem das Verhalten des Stromboli aus großer Entfernung und damit gefahrlos überwacht werden kann.

Das Projekt „Cerberus“ ist benannt nach dem gleichnamigen Hund in der griechischen Mythologie, der den Eingang zur Hölle bewacht, und nutzt die Methode der Infrarotspektrometrie, um die Zusammensetzung der vom Vulkan emittierten Gaswolke zu analysieren. Das Prinzip ist dasselbe wie beim Projekt „SIGIS“, mit dem Prof. Harig und sein Team bereits in der jüngsten Vergangenheit Furore gemacht hatten (s. Spektrum v. Mai 2006): Aus sicherem Abstand eine zum Beispiel aus einer leckgeschlagenen Leitung austretende Gaswolke und ihre Verteilung sichtbar zu machen und gleichzeitig die chemische Zusammensetzung der Wolke zu analysieren – ohne potenziell gefährliche Probennahme vor Ort. Genauso lassen sich auch die aus dem Vulkan Stromboli aufsteigenden Gase und Dämpfe analysieren, neben Wasserdampf vor allem Kohlendioxid und -monoxid, Schwefeldioxid sowie Chlor- und Fluorwasserstoff. Im infraroten Spektralbereich hinterlassen Gase und Dämpfe durch Strahlungsabsorption charakteristische „Fingerabdrücke“ im Strahlungsspektrum.

Vulkanaktivitäten per W-LAN analysieren

Anders als bei „SIGIS“, das Landschaften oder Gebäude als Strahlungshintergrund verwendet, macht man sich im Falle der Vulkanüberwachung die aus dem Krater quellende glühende Lava als Infrarot-Strahlungsquelle zunutze. Dazu haben die Forscher am Rande des Kraters ein entsprechendes Messgerät installiert, mit dem das Innere des Kraters kontrolliert werden kann. Eine Infrarotkamera ortet zunächst die Stellen, an denen glühendes Magma aus der Tiefe quillt. Ein ebenfalls in der Apparatur befindliches Spektrometer analysiert dann anhand der Veränderungen des Strahlungsspektrums die Zusammensetzung der Gaswolke zwischen Hintergrund und Messgerät. Darüber hinaus ist auch eine Abbildung der Gaswolke möglich. Was in der Theorie einfach klingt, gestaltet sich in der Praxis deutlich komplizierter:

Die Lava tritt an wechselnden Stellen zutage, und auch die Verteilung der Wolke aus Gasen und Wasserdampf ist abhängig von den jeweiligen Austrittsstellen und der Windrichtung. Das Spektrometer muss also jeweils auf die optimal geeigneten Stellen gelenkt werden. Deshalb wurde ein Scannersystem mit einem beweglichen Spiegel entwickelt, mit dem die „Blickrichtung“ des Spektrometers reguliert werden kann. Dazu muss allerdings niemand den Stromboli besteigen und die Messgeräte per Hand ausrichten. Mittels einer drahtlosen Internet-Verbindung (W-LAN) können die Einstellungen vom PC aus erfolgen, entweder von den Wissenschaftlern der TUHH in Hamburg oder den Kollegen aus Catània auf Sizilien – theoretisch von jedem PC mit Internetanschluss an jedem beliebigen Ort der Erde. Vom Schreibtisch aus wird das Spektrometer per Mausklick auf die heiße Lava gerichtet – auf dem Bildschirm im Infrarotbild als helle Bereiche im dunklen Krater deutlich sichtbar – und gleichzeitig werden die vom Spektrometer übermittelten Infrarotspektren kontrolliert. Anhand dieser Spektren bzw. der von Wasserdampf und Gasen verursachten typischen Signaturen lassen sich dann die besten Messpunkte finden und einstellen. Hin und wieder allerdings ist doch menschliches Eingreifen vor Ort vonnöten: Bei einem größeren Ausbruch des Stromboli wurde „Cerberus“ unter einer dicken Ascheschicht begraben, ein einheimischer Bergführer putzte die Fenster des Gehäuses frei und sorgte so wieder für freie Sicht und einwandfreies Arbeiten der Messgeräte.

Studenten werden in Forschung einbezogen

Für Professor Harig ist das „Cerberus“-Projekt geradezu ein Paradebeispiel, wie technische und wissenschaftliche Mitarbeiter mit Studenten zusammen arbeiten und diese in die praktische Entwicklung und Umsetzung einbezogen werden. Bisher mit großem Erfolg: Seit Juni 2008 liefert „Cerberus“ zuverlässig Messdaten der emittierten Gase und Dämpfe, mit deren Hilfe die Wissenschaftler den Zustand des Vulkans beschreiben wollen. Noch stehen sie dabei ganz am Anfang, denn viele Faktoren beeinflussen die Gasemission in komplexer Weise: So ist in der Magma die Löslichkeit der Gase druckabhängig und auch unterschiedlich für jedes Gas. Das heißt: Wenn sich der Druck im Inneren des Vulkans ändert, ändert sich auch die Zusammensetzung der freigesetzten Gaswolke. Auch die Tiefe der Gasemission beeinflusst die chemische Komposition der Vulkangase. Deren Analyse erlaubt also einen indirekten Blick ins Innere des Vulkans.

Im Moment geht es für die Wissenschaftler vor allem darum, Spektren zu sammeln und auszuwerten. Von dem Ziel, anhand der Zusammensetzung der Gaswolke die Aktivitäten eines Vulkans vorhersagen und diese Methode als Frühwarnsystem einsetzen zu können, sei man allerdings noch sehr weit entfernt, betont Prof. Harig. Demnächst werden die Wissenschaftler ihrem „Cerberus“ erneut einen persönlichen Besuch abstatten: Nach mehreren Monaten auf dem Vulkan hat die lebensfeindliche Atmosphäre aus Fluss-, Salz- und schwefliger Säure, die durch Reaktion der Gase mit Regen und Wasserdampf entstehen, das Messsystem angegriffen. Diesen infernalischen Säuremix hält auf Dauer selbst ein „Höllenhund“ nicht aus.

Dr. Uwe Westphal, SPEKTRUM - Magazin der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH), Februar 2009

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